41/2004
Handelsexperte sieht keine Zukunft für Kaufhäuser Interview mit Joachim Zentes, Professor für Handelsmanagement und Marketing an der Universität Saarbrücken
Lange: Im Fernsehen war das ja relativ einfach, da mobilisiert ein offenbar zu
früh pensionierter Seniorchef ein paar Buddies, schmeißt den unfähigen Vorstand
raus und bringt neuen Schwung in den Laden. "Der große Bellheim", Sie erinnern
sich? Nun, in der Realität heißt Bellheim jetzt Karstadt, aber ein Bellheim ist
nicht in Sicht. Der Warenhauskonzern soll drastisch schrumpfen, 77 kleinere
Häuser sollen auf- oder abgegeben werden an einen Investor. Nun sind hinterher
immer viele ganz schlau, klar, der Vorstand hat neue Trends verschlafen, die
hätten es so machen müssen wie Kaufhof, aber es gibt auch Experten, die sagen,
das klassische Kaufhaus mit dem universellen Angebot, das ist sowieso ein
Auslaufmodell. Zu diesen Experten gehört Joachim Zentes, er ist Professor für
Handelsmanagement und Marketing an der Universität Saarbrücken. Schönen guten
Morgen.
Zentes: Guten Morgen.
Lange: Herr Zentes, warum hat das Kaufhaus so wie wir es kennen keine Zukunft
mehr?
Zentes: Wir erleben diese Entwicklung schon seit vielen Jahren, übrigens nicht
nur in Deutschland, auch im europäischen Ausland, selbst in Japan. Die
Warenhäuser verlieren schon seit vielen Jahren Marktanteil und wir gehen auch
davon aus, dass diese Entwicklung sich fortsetzen wird, sozusagen fast wie eine
Naturgesetzmäßigkeit. Das ist ein Lebenszyklus eines Geschäftstyps, der sich
eigentlich dem Ende nähert.
Lange: Das heißt auch, der gelobte Konkurrent Kaufhof hat das schwere Wetter
noch vor sich?
Zentes: Ich denke ja, wir haben in Deutschland vielleicht heute einen
Marktanteil der Warenhäuser zwischen fünf und sechs Prozent, wir gehen davon
aus, dass bis zum Jahre 2010 dieser Marktanteil sich etwa auf zwei, drei Prozent
halbieren wird, mit der Konsequenz, dass entweder nur noch für einen Konzern
Platz sein wird oder für beide, aber jeweils mit der Hälfte der Standorte.
Lange: Bisher hieß es ja immer, die großen Handelskonzerne machen den
mittelständischen Einzelhandel kaputt. Ist es dann in Wahrheit umgekehrt?
Zentes: Ja, da ist viel dran, was Sie sagen. Wir sagen auch immer, die
Verdrängungssituation, die wir gegenwärtig haben und auch noch weiter haben
werden, ist nicht charakterisiert, nicht gekennzeichnet durch einen Kampf "Groß
gegen Klein" sondern durch einen Kampf "Gut gegen Schlecht" und in diesem Kampf
kann der Kleine auch bestehen und der Große untergehen.
Lange: Nun gehörte ja Karstadt zu den Konzernen, die in den letzten Jahren immer
wieder schwächere Konkurrenten übernommen haben, sich vergrößert haben. Kann es
nicht auch daran liegen, dass dieser Konzern, wie ja andere auch, einfach nicht
mehr richtig steuerbar ist und dann letztlich an seiner Größe zerbricht?
Zentes: Das ist noch eine zweite Frage, das Eine ist die Problematik der
Warenhäuser an sich, unabhängig von dem Unternehmen, das sie führt. Die zweite
Frage ist, wie breit man sich im Markt aufstellt, da hat sicherlich Karstadt
eine sehr breite Palette von unterschiedlichen Tochtergesellschaften in ganz
unterschiedlichen Feldern, bis in den Bereich der Coffeeshops hinein aufgebaut.
Das ist sicherlich eine Politik der Diversifikation, von der man eigentlich in
den letzten Jahren abgeraten hat.
Lange: Das heißt, das war eine falsche Strategie, wie ist sie jetzt
korrigierbar?
Zentes: Korrigierbar ist sie in aller Regel sehr schwierig. Denken Sie zurück,
vor ein paar Jahren, als Mercedes-Benz sich von vielen Tochtergesellschaften,
AEG, Fokker und so weiter, getrennt hat, das war meistens auch nur mit Verlust
möglich. Es wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehr schwierig sein, unserer
Einschätzung nach, sich eben von den Warenhäuser, der Hälfte in etwa zu trennen
im Sinne von verkaufen, denn ich sehe weit und breit, auch nicht im Ausland ein
Handelsunternehmen, das Interesse haben könnte, diese Standorte zu erwerben.
Lange: Was ich irritierend finde, gerade in kleineren und mittleren Städten, da
ist ja die Konkurrenzlage so, dass es nur ein großes Warenhaus gibt. Sind es da
nicht gerade die kleineren Häuser, die relativ einfach wieder konkurrenzfähig
gemacht werden könnten?
Zentes: Das glaube ich nicht. Wir haben generell eigentlich zwei Gegner der
Warenhäuser in den letzten Jahren, das sind einerseits die Fachmärkte, die eher
in peripheren Standorten sozusagen ...
Lange: Am Stadtrand, auf der grünen Wiese.
Zentes: ... aufgebaut wurden, denken Sie an Baumärkte, an Fachmärkte für
Unterhaltungselektronik, für Sport, für Möbel und vieles andere mehr. Zweitens
sind es auch die innerstädtischen Fachgeschäfte, die oftmals auch in
Shoppingcentern und so weiter untergebracht sind. Ich denke, die
problematischste Standortkategorie für die Warenhäuser dieses universellen Typs
sind gerade die mittleren Städte, da wird es sehr, sehr schwierig sein. Ich
denke nicht, dass man die revitalisieren kann.
Lange: Wie soll denn der Vorstand von Karstadt jetzt reagieren? Kostensenkung
ist das eine, aber so eine richtige Strategie, die von diesem Universalkaufhaus
wegführt und auf die gewandelten Bedingungen und Bedürfnisse der Menschen
eingeht, die ist das ja noch nicht.
Zentes: Ich denke, man wird ohne jeden Zweifel, bei aller Härte, eine Reihe von
Standorten wirklich schließen müssen und schließen werden, ohne dass sich dort
ein Nachfolger finden lässt. Das ist bedauerlich gerade für die Innenstädte,
denn viele Innenstädte werden darunter leiden. Dessen muss man sich bewusst
sein, mindestens so sehr darunter leiden wie auch die Arbeitnehmer. Die übrigen
Standorte, ein Großteil der Standorte, denke ich, wird man in den nächsten
Jahren umwidmen in Form von Shoppingcentern, das heißt, man wird sie auch
architektonisch umwidmen, man wird sie führen wie ein Shoppingcenter, das aus
einer Vielzahl von Fachgeschäften besteht, die dann aber von selbstständigen
Fachhändlern oder von filialisierenden Fachgeschäftsketten geführt werden. Das
ist dann ein anderes Geschäftsmodell, das ist nicht mehr ein Warenhaus, dann
wird man Immobilienvermieter, man wird ein Centermanager und ich denke, das wird
die Zukunft sein. An einigen großen Standorten, sozusagen in den Metropolen,
wird man vielleicht das Warenhaus heutiger Prägung fahren können, ansonsten
denke ich, wird sich Karstadt eher in Richtung eines Shoppingcenterunternehmens
entwickeln, wie wir es beispielsweise von der ECE oder von anderen Unternehmen
kennen.
Lange: Könnte denn der Facheinzelhandel diese Lücke, die sich ergibt, wenn zum
Beispiel in kleineren Städten das große Warenhaus schließt, für sich dann
erschließen oder sind die Handelskapazitäten ohnehin überdimensioniert?
Zentes: Ich denke nicht, ich würde es dem Mittelstand auch gönnen, aber ich
denke, wir haben gegenwärtig in Deutschland Überkapazitäten in gigantischen
Größenordnungen was Handelsflächen angeht. Wir sind europaweit das Land mit der
größten Verkaufsfläche pro Einwohner und liegen damit weit, weit über dem
Durchschnitt. Das heißt, wir erwarten unabhängig von der gegenwärtigen
Problematik des Hauses Karstadt generell in den nächsten Jahren einen sehr, sehr
dramatischen Reinigungsprozess, weil wir einfach Flächen abbauen werden, weil
die Kaufkraft nicht da ist und wir sie auch in den nächsten Jahren nicht sehen.
Lange: Das heißt, wenn jetzt ein Bürgermeister käme und sagt, wir wollen wieder
neue Gebiete erschließen für ein solches Einkaufszentrum, da würden Sie ihm die
rote Kelle hinhalten?
Zentes: Im Prinzip muss man da sehr vernünftig sein. Aber wir haben in
Deutschland genau die umgekehrte Situation, wir haben auf der einen Seite einen
gigantischen Abbau zu erwarten und gleichzeitig, wenn man die Pläne von vielen
Unternehmen sieht, dennoch eine Verkaufsflächenzunahme in den nächsten Jahren,
was natürlich noch mal dazuführt, dass auf der anderen Seite noch wesentlich
mehr Standorte an Attraktivität verlieren. Also, Expansion auf der einen Seite
und Standorterosion dadurch ausgelöst auf der anderen Seite.
Lange: Vielen Dank. Das war Joachim Zentes, er ist Professor für
Handelsmanagement und Marketing an der Universität Saarbrücken. ©Deutschlandfunk 2004