Wenn ein fein zersäbeltes Haar bis zu 100 Mikrogramm wiegt und ganz Europa derzeit um Feinstaubpartikel streitet, die vielleicht zehn Mikrogramm wiegen, mag das ein wenig nach Haarspalterei klingen. Erst wenn man hört, dass allein in Deutschland jedes Jahr 65.000 Menschen an durch Feinstaub ausgelösten Entzündungen, Wucherungen, Asthma und Bronchitis bis hin zu Krebs sterben sollen, wird deutlich, wie wichtig die Einhaltung der europäischen Feinstaub-Grenzwerte ist. Während die Deutsche Umwelthilfe gestern den Berliner Senat erstmals wegen einer verstaubten City verklagte, bleibt der Norden eine vergleichsweise staubfreie Zone - wenn man der Lokalpolitik glauben darf.
Von der "Panikmache interesssierter Kreise" und davon, dass die Stadt "kein Drecksnest" sei, hatte der Braunschweiger Baustadtrat Wolfgang Zwafelink gesprochen, nachdem Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) der Stadt an der Oker vor zwei Wochen einen Besuch abgestattet hatte. Mit "Sorge" hatte Trittin auf die hohe Staubbelastung in Braunschweig hingewiesen.
Laut Daten des Bundes-Umweltamtes ist der hiesige Bohlweg, eine mehrspurige Verkehrsachse mitten durch die Stadt, Norddeutschlands verstaubtester Ort. Seit Januar wurde dort bereits an 21 Tagen der seit diesem Jahr zulässige Höchstwert von 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft überschritten. Damit steht Braunschweig zwar bundesweit "nur" auf Platz 12. Allerdings erlaubt die EU nur 35 Überschreitungen pro Jahr.
Neben Braunschweig könnten in diesem Jahr außerdem Hannover (bislang 12 Überschreitungen), Emden (8), Hamburg (an den Messstationen Billstedt, Sternschanze und Stresemannstraße jeweils 7) die Zahl 35 erreichen, schätzen Experten. Natürlich sind die Innenstädte im Norden kaum weniger von Dieselruß, Reifenabrieb oder Industrieabgasen geplagt wie die Spitzenreiter im Schmutzranking, München, Düsseldorf oder Augsburg. Allerdings sorgt die steife Brise hier für bessere Werte. Und natürlich auch der Standort der Messstationen.
Ob es wie in Berlin zu beklagenswerten Werten kommt, hängt vor allem vom Wetter ab: Regen wäscht Feinstaub aus der Luft. Deshalb plant Baustadtrat Zwafeling auch schon, seine Stadt künftig zu "Staubschweig" umzufunktionieren: Er will die todbringenden Kleinstpartikel künftig mit mehr Straßenreinigung, also per Wasser, binden. Außerdem werden Hannover wie Braunschweig Luftreinhaltepläne vorlegen, die die Werte durch verbesserte Ampelschaltungen oder Umleitungen senken.
Ähnlich denkt auch Bremen: Nachdem die Messstation am Bremer Dobbenweg zu hohe Werte registriert hatte, schlug der Arbeitskreis Luftreinhalteplanung vor, die Straßen öfter zu kehren und Staubverursacher wie Baustellen besser zu kontrollieren. Fahrverbote, wie sie in einigen italienischen Städten erlassen wurden, will in Deutschland niemand. Selbst eine City-Maut wäre angeblich unwirksam: Das sei "keine wirkungsscharfe Maßnahme", sagte der Chef des Umweltbundesamtes, Andreas Troge. Nur ein Drittel der Belastung stamme von Diesel-Autos, der Großteil entstehe durch "Aufwirbelungen und Zuwehungen" . Kai Schöneberg
taz Nord Nr. 7621 vom 22.3.2005, Seite 24, 109 TAZ-Bericht Kai Schöneberg
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