Parken mit Seele
Artikel in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.05.2003, Nr. 116, S. 36

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Braunschweig wurde durch die Bombardements des Zweiten Weltkriegs fast vollständig vernichtet. Dann kam die "autogerechte" Stadt, der weitere Denkmäler weichen mußten. Fünfzehn Jahre währte damals die Auseinandersetzung um das ausgebrannte Residenzschloß der Welfen. [...] Ein Hauptargument gegen den Wiederaufbau war [...] die Tatsache, daß Braunschweigs Schloß zuletzt eine "Junkerschule" von Hitlers SS beherbergt hatte. Im Januar 1960 konnten sich die Gegner mit einer hauchdünnen Mehrheit von zwei Stimmen im Rat der Stadt durchsetzen. Kurz darauf - es war ein Freitag - begann der Abriß.

[...] Nach der Brachialbewältigung einer unliebsamen Vergangenheit wuchs Grün über den Ort der Zerstörung. Es entstand ein öffentlicher Park mit einem Becken aus Zementguß, in dem vier Kapitelle der Schloßfassade von Wasser umspült werden.

[...] Am Bohlweg gegenüber dem Schloßpark, einst Braunschweigs Nobelboulevard, reihen sich Billiganbieter und Fast-food-Buden. Genauso billig wirkt die Architektur. Die Stadt hat wahllos jede architektonische Mode mitgemacht bis hin zum Hundertwasserhaus-Verschnitt. Wie Inseln liegen die wenigen erhaltenen Baudenkmale, darunter der Domplatz mit der Burg, in einem Meer gesichtsloser Häuser. Das hielt die Stadt nicht davon ab, sich gemeinsam mit anderen Städten und Landkreisen im Großraum Braunschweig als Kulturhauptstadt Europas für das Jahr 2010 zu empfehlen. Immerhin räumte Braunschweigs Oberbürgermeister in seiner Neujahrsrede ein, daß zwar der Burgplatz, die Kaiserpfalz und die Herzog-August-Bibliothek im nahe gelegenen Wolfenbüttel international bekannt seien, aber "daraus noch kein attraktives regionales Gesamtbild mit einem entsprechenden Marketingwert entstanden" sei. Das werde man nun mit einem "Jahrhundertprojekt" nachholen, das die "historische Chance" böte, der zerstörten Stadt ein Stück "ihrer Seele" wiederzugeben.

Die klingenden Formulierungen galten dem Vorhaben, ein Einkaufszentrum hinter der rekonstruierten Schloßfassade zu errichten. Doch um "Braunschweigs Geschichte wieder erlebbar zu machen", muß sich die Stadt von ihrem Schloßpark trennen: Pleite, wie sie ist, verkauft sie ihr Tafelsilber an die ECE, das Immobilienunternehmen des Otto-Konzerns. Die ECE will auf drei Geschossen dreißigtausend Quadratmeter für Läden schaffen, darüber ein dreistöckiges Parkhaus mit zweitausend Stellplätzen. Restaurants, Lager- und Nebenräume sind dabei nicht berechnet.

Dank des immensen Raumbedarfs wird der Neubau über die Seiten der Fassade hinauswuchern. Wie er jedoch aussehen soll, ist bisher unbekannt. Unklar ist auch, ob nicht auch Parkplätze auf dem restlichen Gelände entstehen werden. Sicher dagegen scheint, daß alte Bäume und auch denkmalgeschützte Bauten an der Friesenstraße weichen müssen: das Schwesternhaus, die Schule und das barocke Krahe-Tor. Schließlich ist mit einem erhöhten Verkehrsaufkommen rund um das Schloßkaufhaus zu rechnen, das auch über die Friesenstraße abgeleitet werden muß.

Diese Ströme werden an der Innenstadt vorbeifließen, was, so fürchtet der Einzelhandel, die Zahl der Insolvenzen steigen lassen wird. Davon ist auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi überzeugt, die zudem die Rentabilität des Einkaufszentrums bezweifelt. Auch der Handelsverband des Einzelhandels - in dem auch die ECE vertreten ist - warnt. Außerdem seien die Zerstörung der zentrumsnahen Grünfläche und die Ignoranz gegenüber dem historischen Erbe nicht zu tolerieren.

Währenddessen wirbt der Oberbürgermeister um das Einverständnis des Einzelhandels. Zugleich droht er, falls das Projekt verhindert würde, werde es auf Jahre kein Geld für die Sanierung des Bohlwegs geben. Wortkarger ist das Stadtoberhaupt, wenn es um die "hohe Summe" geht, die Braunschweig für den Schloßpark bekommt. Gar soviel dürfte es nicht sein, denn als der ECE als Ausweichquartier die gegenüber am Bohlweg liegende, kleinere Schloßpassage angeboten wurde, wehrte sich das Unternehmen mit der Begründung, daß die Kosten von fünfzig Millionen Euro für den Erwerb des Grundstücks, Entmietung, Abriß, Altlastenbeseitigung und öffentliche Erschließung zu hoch seien.

[...]

BETTINA ERCHE


http://www.schlosspark-braunschweig.de